Roman Zheleznyak

grid and resonance

Nähert man sich dem Ausstellungsort von grid and resonance, dem Kunstverein von Mönchengladbach MMIII, durchquert man ein eher raues Gewerbegebiet in der Peripherie der Stadt. Der Ausstellungsraum befindet sich in einer alten Fabrikhalle auf dem Gelände ehemaliger Textilbetriebe. Dort gibt es einige akkurat vor- und eingebaute Wände, doch die sorgfältig entkernte Industriearchitektur bleibt voll präsent. Hier kann sich das Wesen der Arbeit von Bea Otto entfalten, nicht nur im Sehen, sondern gerade auch im Denken. Durch die Auseinandersetzung mit dem vorhandenen Ort entsteht ein Austausch, der vielfältige Transformationen auslöst. Der Ort entsteht neu. Objekte, die wir in der Ausstellung entdecken, sind entweder als Fremdkörper in den vorgefundenen Raum implementiert, oder aber sie waren bereits Bestandteil des Raums. Eine intensive und präzise Beobachtung des Status quo ist für die Künstlerin ein elementarer Schritt als Überleitung zum Handeln. Handeln bedeutet, den Raum öffnen, verschieben, transformieren und für den Raum Konzipiertes verorten. Es ist in jedem Fall ein konsequentes Handeln, das Mut zur Reduzierung auf das Wesentliche beinhaltet.

Ich erinnere mich an meinen ersten Atelierbesuch bei Bea Otto vor mehreren Jahren, bei dem ich einen Bruchteil der Gegenstandssammlung der Künstlerin zu sehen bekam. Es ist eine seltsame, ja wahrhaft kuriose Sammlung, bestehend aus größtenteils gefundenen Relikten unserer Konsumgesellschaft. Bea Otto findet Gegenstände, oder Gegenstände finden Bea Otto. In jedem Fall trifft die Künstlerin die Entscheidung, diese auf der Straße gefundenen Sachen mitzunehmen. Viele davon tauchen erst Jahre später in ihren Installationen auf. Die meisten von uns würden solchen Gegenständen keine Aufmerksamkeit schenken, bei Bea Otto werden sie in einer modifizierten Form aktiviert und in einem neuen Kontext verortet. Die Transformation solcher Artefakte der häuslichen oder weiteren Umgebung manifestiert sich im Funktionsentzug und der damit einhergehenden Zweckentfremdung. So entstehen amorphe und ästhetische Gebilde, wie im oberen Stock der Ausstellungshalle der Rest eines Einkaufswagens oder eines Stuhls. Die Hinterlassenschaften des Anthropozäns bekommen ein zweites Leben als Protagonisten in Bea Ottos künstlerischem Werk. Das Alltägliche taucht als Fragment auf, die Objekte funktionieren als Verweise und sind doch transformiert. Sie sind fremd und vertraut zugleich.

Den zentralen Punkt der Ausstellung bildet ein zusammengesetztes Objekt in der Nähe des Eingangs der Fabrikhalle. Auf den ersten Blick eine leichte Geste, ein Spiegel liegt auf einem Stativ. Die ursprüngliche Funktion dieses Stativs war das Halten eines Projektors. Anstelle des Projektors liegt ein Spiegel, der auf eine Öffnung in die obere Etage und durch diese auf den Raum selbst verweist. Die unsichtbare Säule aktiviert den Raum und dient als ein Sammelpunkt. Der dreidimensionale Raum wird in der horizontalen Spiegelung zu einem zweidimensionalen Bild, in dem Vorder-, Mittel-, und Hintergrund verschmelzen.

Wir blicken nach links und entdecken einen Objektrahmen, ein Fundstück, abgeschlossen und leer. Ein weißer und konservierter kleiner Raum hängt an der überproportional langen Wand. Eine Ankündigungsvitrine ohne Ankündigung, ein Bildobjekt und Raummodell zugleich. Der klinisch-abweisende Galerieraum im Modell, autark und homogen. Ein weiteres Wechselspiel zwischen Objekt und Raum bietet das scheinbar schwebende Drahtgitter weiter im Inneren der
Ausstellung. In einem Balanceakt löst sich ein Teil seiner Struktur im Raum auf. Die Quadratstruktur rastert die Umgebung, gibt uns die Möglichkeit, das Kunstwerk auf unterschiedliche Art und Weise zu erfahren, und leitet in die obere Etage über.

Der Boden dieser Etage besteht vornehmlich aus Metallgittern, die zum Teil mit Stahlplatten belegt sind. Bereits der pure Raum erzeugt vielfältige Ebenen der Resonanz. Licht und Schall werden an den Rastern gebrochen, fragmentiert. Subtil und zugleich großzügig greift Bea Otto in diesen Raum ein. Gitterstrukturen und mit ihnen die darunterliegenden Räume werden freigelegt, indem einige der massiven Stahlplatten aus dem vorhandenen Raster entfernt, verschoben, teils deplatziert, teils umgedreht und zwei von ihnen ins Schweben gebracht werden. Keine Tricks und keine Magie, reines Erheben. Durch diese einfache Geste scheint das enorme Gewicht der Platten aufgehoben zu sein. Über die Raumkante geschoben, wird die große Platte zu einem Sprungbrett ins Freie. Eine kleine fiktive Öffnung in der langen vorgebauten Wand, das wie gestrandet wirkende Fragment eines Einkaufswagens, ein verchromtes Stuhlgestell, auf dem Boden übereinandergeschobene feine Gitter treten in Dialog miteinander und mit dem sie umgebenden Raum. In der lockeren Überlagerung der Gitter löst sich die kartesische Struktur auf und verdichtet sich zugleich. Daneben das merkwürdige Loch im Boden: Der Spiegel in der unteren Etage wirft den Blick des Betrachters zurück und zwei weitere Stockwerke hinauf bis zum Dach der Fabrikhalle. Wir sind inmitten optischer und akustischer Resonanzen, hervorgerufen und gebrochen durch die Interventionen der Künstlerin und die Bewegung der Betrachter.

Das kleinste Objekt der Ausstellung ist ein in der Mitte aufgeschlagenes orangefarbenes Heft, das in der farblich reduzierten Umgebung regelrecht leuchtet. Es korrespondiert mit der ebenfalls orangefarbenen und surreal anmutenden Tür in einer nicht mehr existierenden zweiten Etage. Die über den Rand einer Stahlplatte hinausragende fragile Platzierung des Hefts greift die schwebenden Platten und die vorhandene stellenweise überkragende Architektur auf. Die Abbildung im Heft, ein weißer Raumplan auf einem orangefarbenen Hintergrund, wirft Fragen auf. Alle rechteckigen, nummerierten Flächen grenzen an mindestens eine weitere, einige von ihnen weisen aber keine Erschließung auf. Dies korreliert auf absurde Weise mit dem Ausstellungsraum: Dort gibt es eine Tür ohne dazugehörigen Raum, hier im Heft gibt es Räume ohne Tür. Auf vielerlei Weise erscheint die Abbildung des seltsamen Raumplans wie eine kartografische Parallelperformance zu der verschachtelten Raumsituation des Kunstvereins.

In der gesamten Ausstellung sind Interventionen präzise verortet und werden zum Echo auf Vorhandenes. An- und Abwesendes ist simultan präsent. Bea Ottos Werke besitzen die Qualität der Raumerweiterung, die Objekte schaffen es, den Ort zu defragmentieren, mit anderen Worten, neu zu ordnen. Durch die intensive Auseinandersetzung mit dem vorhandenen Ort entstehen so mehrere kleinere Orte, welche sich inhaltlich wie gedanklich unabhängig von ihrer physischen Verortung verbinden. Bea Otto trifft klare, nüchterne und zugleich poetische Aussagen. Ihre Interventionen atmen, sie bleiben offen und scheinen dadurch kontinuierlich in Bewegung zu sein. Die Betrachter, die sich auf ein langsames Wahrnehmen einlassen, entdecken Raumbezüge und inhaltliche Zusammenhänge und treten so in Resonanz mit Bea Ottos Arbeit.

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